Gestern war kein Tag

Roman von Christiane Blasius

236 S.   ISBN 978-3-920591-62-9

€ 12,-

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In einer Galerie entdeckt Franziska eine Zeichnung, die sie ungemein fesselt. Sie setzt sich in den Kopf, den Künstler persönlich kennenzulernen. Es stellt sich heraus, daß der Maler Jens Schroth nach einem tragischen Ereignis beschlossen hatte, nie wieder zu malen. Er hütet ein Geheimnis, dessen Auflösung sich als immer schwieriger erweist - Jens ist dabei, sein Gedächtnis zu verlieren.

"Gestern war kein Tag" ist ein Buch, das die Alzheimersche Krankheit literarisch aufarbeitet. Es wird eine Geschichte erzählt, bei der die Autorin uns behutsam in die Erlebnis- und Gedankenwelt sowohl des Erkrankten als auch seiner Umgebung versetzt. Ein Roman mit einer ausgefeilten Erzählstruktur - ein Text, der fasziniert, der nicht klagt, nicht beschönigt, nicht beschuldigt.
 
 

 

1. Leseprobe

Er nahm sein Tagebuch und begann darin zu lesen, wie andere beim Frühstück die Morgenzeitung aufschlagen und Neuigkeiten erfahren. Längst schrieb er keine weitreichenden Überlegungen mehr hinein, seine Schrift war krakelig geworden, aber er notierte, welche Pflichten er erledigt, was er gegessen und wer ihn besucht oder angerufen hatte, manchmal fand sich auch noch ein kurzer Gedanke darin, der ihm wohl wichtig genug erschienen war, um vor der Gefahr des Vergessens geschützt zu werden. Jens nahm sich Zeit, den Mittwoch wiederzuentdecken, denn er blätterte nur sehr selten weiter als einen Tag zurück.

Der Morgen des vergangenen Tages präsentierte sich ohne besondere Ereignisse. Ein Zivildienstleistender, den Jens mochte, obwohl er nie ganz begriff, was für eine Rolle dieser Mann in seinem Leben spielte, hatte einige Einkäufe erledigt. Das Essen, welches ihm jeden Mittag gebracht wurde, schien weder gut noch schlecht gewesen zu sein, denn es war nichts vermerkt. Am Nachmittag aber hatte ihn sein Schwiegersohn besucht, jetzt, da Jens davon las, glaubte er, sich zu erinnern. Holger war nach der Arbeit bei ihm vorbeigekommen, und er hatte genügend Zeit gehabt, um beim Aufräumen zu helfen und den Nachttisch umzustellen. Er war der Ansicht gewesen, daß es so praktischer wäre, da sich Jens oft an dem Möbelstück stieß, wenn er nachts aufstehen mußte. Später hatten sie sich noch gemeinsam die Bildersammlung angesehen.

Der alte Mann klappte das Tagebuch zu und lächelte zufrieden. »Ja, so war das«, sagte er.
 

2. Leseprobe

Von innen wirkte die Galerie eher wie eine Werkstatt, und vermutlich war sie es auch die meiste Zeit über. ...

»Sie meinen die Kreidezeichnung?« erkundigte sich der Galeriebesitzer höflich, während er ein paar Sägespäne zusammenkehrte. »Ich habe sie heute morgen gewissermaßen verkauft.« Er legte den Besen beiseite. »Das war merkwürdig, vor ein paar Wochen gab mir ein Mann mehrere Bilder des Malers in Kommission, und heute morgen kam er wieder, um diese eine Zeichnung zurückzuholen. Im Vergleich mit den anderen Bildern fiel sie wirklich aus dem Rahmen, wirtschaftlich gesehen war sie allerdings nicht besonders wertvoll. Ich habe trotzdem einen guten Preis veranschlagt, der Bücher wegen, aber ich glaube kaum, daß dem neuen Besitzer etwas an der Zeichnung liegt, dafür bekommt man mit der Zeit ein Gespür. Nun, vielleicht will er das Bild verschenken.« Der Galerist schloß eine Farbdose. »Wenn ich ehrlich sein soll, Ihnen hätte ich die Zeichnung viel lieber verkauft, leider kann ich mir meine Kunden nur selten aussuchen. Nehmen Sie doch Platz.«

Franziska setzte sich auf einen der hölzernen Stühle, die so bunt lackiert waren, daß sie den Anschein erweckten, jemand hätte sie versehentlich mit Farbe bekleckert und anschließend entdeckt, daß Zufall und Kreativität oft Hand in Hand gehen.

»Geld hin, Geld her, es war wirklich ein Fehler, sich das Bild nicht zurücklegen zu lassen«, murmelte Franziska, und an den Galeriebesitzer gewandt fuhr sie fort: »Ich bin normalerweise nicht so zögerlich, im Gegenteil, ich besitze eine Schwäche für Spontankäufe, sehr zum Leidwesen meines Freundes, aber ich war wohl nicht sicher, ob ich das Bild wirklich besitzen will. Sie haben übrigens grüne Farbe im Haar, direkt über dem linken Ohr.«

Der Galeriebesitzer grinste wie jemand, der sich bei einer Unart ertappt weiß und diese Tatsache mit Humor zu nehmen versteht.

»Das ist so eine Angewohnheit von mir«, erklärte er und machte eine entschuldigende Geste, »wenn ich die Hände frei haben will, stecke ich Stifte, Pinsel oder ähnliches vorübergehend hinter mein Ohr. Irgendwann werde ich noch versehentlich ein Messer nehmen und anschließend aussehen wie van Gogh.« Er tastete die linke Seite seines Gesichtes ab, um zu prüfen, ob dort noch ein vergessener Gegenstand steckte. Seine Hand blieb leer. »Ich male selbst ein bißchen, außerdem rahme ich natürlich, sonst könnte ich mit dieser Galerie finanziell gar nicht überleben. Aber kommen wir zurück auf die Zeichnung, die Ihnen so gut gefallen hat. Ich kenne den Maler. Früher war er auf lokaler Ebene eine gewisse Größe, seine Werke erzielten sogar ganz ordentliche Preise. Ab und zu kam er vorbei, aber er brachte nur dann ein Bild mit, wenn er Geld brauchte, und das kam nicht allzu oft vor, weil er einer geregelten Arbeit nachging. Er trennte sich einfach ungern von seinen Werken. Ich habe ihn lange nicht gesehen, er müßte inzwischen an die siebzig Jahre alt sein, und möglicherweise malt er keine Bilder mehr. Vielleicht sagt Ihnen der Name etwas: Jens Schroth.«

Franziska schüttelte den Kopf.

»Ich bin eben erst in diese Gegend gezogen, mit lokalen Details habe ich mich noch nicht so vertraut gemacht. Aber ich würde gerne die anderen Bilder dieses Malers ansehen, wenn das möglich ist.«

»Selbstverständlich!« Der Galeriebesitzer lachte. »Ich vergesse gelegentlich, daß der Hauptzweck dieser Räumlichkeiten darin besteht, Bilder zu verkaufen. Kommen Sie, die Schroths stehen alle dort drüben. Ich überlege noch, welches ich als nächstes im Fenster präsentieren werde. Vielleicht geben Sie mir einen Tip.«

Franziska betrachtete ein Bild nach dem anderen, und ihre Enttäuschung wuchs mit jedem Werk, das sie ins Licht rückte. Sie konnte nicht sagen, daß ihr die Bilder mißfielen, es waren Darstellungen von Landschaften oder Gebäuden, die wenig exotisch wirkten, und deren Vorlagen vermutlich in der näheren Gegend wiederzufinden sein würden. Die Farbwahl der Bilder war angenehm und unaufdringlich, trotz verschiedener Techniken und Materialien hatten alle Darstellungen denselben diskreten Charme, der sie dekorativ machte und ihnen die Bestimmung verlieh, in behagliche Wohnzimmer gehängt zu werden. Nicht ein Bild löste bei Franziska Empfindungen aus, wie es die Kreidezeichnung vermocht hatte, keines erzeugte mehr als ein zustimmendes Wohlwollen und die Überlegung, ob es eventuell zum Teppich oder der Tapete passen würde.

»Die Bilder sind hübsch«, sagte Franziska, »aber mit der Zeichnung nicht vergleichbar. Es ist ganz sicher, daß sie von ein und demselben Maler stammen?«

Der Galeriebesitzer strich über den breiten Rahmen eines Ölbildes.

»Ich weiß, was Sie meinen«, bestätigte er seufzend. »Das hier sind alles Frühwerke, ich werde sie gut verkaufen, und ich vermute, daß sie genau nach diesem Kriterium ausgewählt wurden. Die Kreidezeichnung hingegen muß sehr viel später angefertigt worden sein, und wie ich den alten Schroth kenne, war sie nie dazu bestimmt, verkauft zu werden. Leider weist die Signatur kein Datum auf.« Er stellte die Bilder an ihren alten Platz zurück und deckte sie mit einem großen Baumwolltuch zu. »Warum besuchen Sie nicht den Maler?« fragte er dabei. »Er wohnt hier ganz in der Nähe...
 

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