Michael Zeller
Granaten und Balladen
Bosnisches Mosaik

ISBN 978-3-920591-81-0  /  €  9,-

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Voller Aufmerksamkeit, Neugier und Empathie, jedoch ohne Pathos, Belehrung oder Parteinahme erzählt Michael Zeller vom Leben der Menschen in Sarajevo und Bosnien. Der Schriftsteller hat dieses gepeinigte Land zehn Jahre nach Kriegsende bereist - ein Jahrzehnt nach dem Abkommen von Dayton, das den Menschen äußerlich den Frieden brachte. 

”Granaten und Balladen” handelt von Moslems in Europa und vom Zustand des Landes Bosnien, seiner Städte und seiner Einwohner, die sich vor kurzem noch im Fadenkreuz der oberhalb von Sarajevo postierten Scharfschützen befanden und verzweifelt Versorgungstunnel gruben. Sie sind stolz auf ihre Leistungen, träumen von Westeuropa oder, besser noch, von Amerika. In den Serbischen Gesängen, die Zellers Text begleiten, spüren wir etwas vom Charakter und der eigenartigen Geschichte des Balkans - Europa und zugleich Tor zum Orient. 

Michael Zeller ergänzt mit diesem Werk sein umfangreiches Œuvre (www.michael-zeller.de). Und wiederlohnt es sich, diesem “exzellenten Beobachter” (SZ) zu folgen, einem der “erzählen kann in einer ästhetischen Form” (WDR 3). 

“Ein solcher Autor sollte eigentlich in aller Munde sein” (FAZ). 

*

Leseprobe:

Aus ihrer wohltuend fremden
Suada dringen, leicht verknubbelt,
vertraute Worte an mein Ohr

Spät in meiner Kneipe in Sarajevo, einen Steinwurf entfernt von der Karawanserei, in der ich untergekommen bin. Die großen Fenster waren es, die mich reingezogen hatten ins AJSA. Vor mir der ganze geräumige Bahnhofsplatz. Viel Weite. Alles neu hier, vielleicht zehn Jahre. Die Taxifahrer schieben ihre Kisten an, beim Vorrücken am Stellplatz, um Sprit zu sparen.
 
Ich lese serbische Gesänge des Mittelalters, Heldenlieder um den endlos kühnen Königssohn Marko. Es geht auf Mitternacht zu. Dann wird im AJSA, wie überall in der Stadt, Zapfenstreich sein. Längst hatte ja auch der Muezzin des Viertels zum letzten Gebet gerufen.
 
In der Diagonale des Gastraums sitzt jemand über einem Blatt Papier. Prall spannt sich der rote Trainingsanzug über den massigen Leib. Sein schwarzes Haar ist wegrasiert vom Hinterkopf und legt ein imposantes Nackengelände frei, daß mir der Blick immer wieder wegspringt vom Buch. Senad, der Wirt, hilft dem Hünen beim Ausfüllen seines Formulars. Aus ihrer wohltuend fremden Suada dringen, leicht verknubbelt, vertraute Worte an mein Ohr: Bielefeld, Schalke, Bayern Minchen. Eine lange Liste gehen sie durch, die Enzyklopädie deutscher Städte, halten überall an, Kopf an Kopf, den Totoschein zwischen sich und eine Flasche Bier. Wieviel Optionen eröffnet ihnen die Welt auf diesem Schnitzel Papier. Ein bißchen Glück nur - und alles würde anders sein. Wenn es mal klappt, daß die Fußballmannschaften in Deutschland, mit ihren Söldnern aus aller Welt (auch aus Bosnien), endlich so ins Tor treffen, wie es die beiden Männer in Sarajevo, selbst noch beinah im fußballfähigen Alter, zwischen sich hin und her drehen und wenden.
 
Kehre zurück zu meinen serbischen Gesängen aus anderen Heldentagen. Kann es in Ruhe tun, ohne Sorge, ohne jede Erwartung auch...

*

Der Basar hat sich geleert

Geht auf den Abend zu. Der Basar von Sarajevo leert sich. In den Gassen, vor und zwischen den Lädchen und Cafés, wird bereits gefegt. Durch ein schön gewirktes Gitter schau ich in den Harem der alten Moschee hinein. Nah an der Mauer die schlanken weißen Stelen von Gräbern.

Dazwischen, im Gras, ein Knäuel junger Katzen. Vier oder fünf. Ein Knoten aus Weiß, Fuchsrot und Schwarz. Kaum ein Zittern in dem Gemeinschafts-Leib. Hin und wieder hebt sich etwas, ein vom Schlaf betäubtes Köpfchen, und sackt wieder hin, unter ein weggestrecktes Bein, einen somnambul winkenden Schwanz. Die Sonne, scheint?s, gibt ihnen ihre letzte Wärme gern.

Unter dem abgeblühten Rosenstock des Grabes zwei Flügel einer Taube. Aus dem Rumpf gerissen. Blut am Gelenk, ins Gefieder hinein. Träumen die vier oder fünf kleinen Katzen ihren Verdauungsschlaf?

Gleich wird der Muezzin vom Minarett herab zum Gebet rufen. Es geht auf den Abend zu. Der Basar hat sich geleert.

Friede auf Erden?

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